Anfangsworte: Michael Chabon, Die Vereinigung jidischer Polizisten
Wenn ich ein Buch im Laden kaufe, lese ich vorher immer die erste Seite. Oder zumindest den ersten Abschnitt. Noch häufiger lese ich Buchanfänge von Büchern, bei denen ich nicht die Absicht habe, sie jemals zu kaufen. Warum, weiß ich nicht, aber das war schon immer so.
Buchanfänge sind etwas tolles. Sie sind wie ein Filmvorspann, sie verraten nichts und sagen manchmal doch alles. Was hier schiefgeht, kann man danach nur noch mit Schwierigkeiten ausbügeln.
Ich werde in den nächsten Wochen durch mein Bücherregal schweifen und ein paar Buchanfänge posten, die mir gefallen oder die mir aus anderen Gründen erwähnenswert scheinen.
Ich fange an mit Michael Chabon, einem Erzähler der Extraklasse, und seinem Roman Die Vereinigung jidischer Polizisten. Der Roman wurde von uns im Schriftsonar Podcast #38 besprochen.
Michael Chabon, Die Vereinigung jidischer Polizisten
Seit neun Monaten haust Landsman nun im Hotel Zamenhof, ohne dass es einem seiner Mitbewohner gelungen wäre, sich umbringen zu lassen. Jetzt hat jemand dem Gast von Zimmer 208 eine Kugel in den Kopf gejagt, einem Jid, der sich Emanuel Lasker nannte.
»Er ist nicht ans Telefon gegangen, er hat die Tür nicht aufgemacht«, sagte Tenenboym, der Nachtportier, als er Landsman aus den Federn holt. Landsman wohnt im Zimmer 505 mit Blick auf die Neonreklame des Hotels auf der anderen Seite der Max Nordau Street. Es heißt Blackpool, ein Wort, das in Landsmans Albträumen eine Rolle spielt. »Ich musste mir Zugang zu seinem Zimmer verschaffen.«
Der Nachtportier ist ein ehemaliger Marine und selbst einmal heroinabhängig gewesen, damals in den Sechzigern, als er vom Schlachtfeld des Kuba-Krieges zurückkehrte. Mütterlich kümmert er sich um die süchtigen Bewohner des Zamenhof. Er gewährt ihnen Kredite und sorgt dafür, dass sie ihre Ruhe haben, wenn es nötig ist.
»Haben Sie irgendetwas in dem Zimmer angefasst?«, fragt Landsman.
»Nur Bargeld und Schmuck«, sagt Tenenboym.
…