Schriftsonar Podcast#52 – Dave Eggers, Tom Hillenbrand, Frank W. Haubold, Tom Daut
Entweder Du bist für uns, oder Du bist gegen uns. Wenn es nach dem Circle geht, sind bald alle Menschen nur noch mit ihrem TruYou online auf den Plattformern des Circles unterwegs. Und damit zu 100% transparent. Lügen und Geheimnisse gehören dann der Vergangenheit an und die Welt wird endlich besser. Nur, wer würde in einer solchen Welt leben wollen? Außer den Auserwählten des Circles. Ob Dave Eggers Entwurf einer schönen, neuen Welt Wirklichkeit wird liegt (noch) in unseren Händen. Eine gute Anregung, um noch einmal über ein paar digitale Gewohnheiten nachzudenken.
Terry, nenn mir den Verdächtigen. Schon praktisch, wenn ganz Europa von einer Myriade von Drohnen überwacht wird und damit die KI’s von Europol mit Echtzeitdaten versorgen. Die Aufklärung von Verbrechen sollte in einem solchen Drohnenland doch eigentlich ein Kinderspiel sein. So scheint nach einem Drittel des neuen Romans von Tom Hillenbrand auch der Täter bereits gefasst zu sein. Doch hinter den Vorhängen der realen Welt bahnt sich im Echtzeit-Mirrorspace von Eurpol eine Verschwörung an, bei der die Zukunft ganz Europas auf dem Spiel steht. Was hier als Krimi getarnt daherkommt, ist nicht weniger als ein Ausblick auf ein Europa, in dem die Freiheit für vermeintliche Sicherheit komplett aufgegeben wurde. Vielleicht ist es ja doch eine gute Idee, jetzt aktiv zu werden, z.B. mit der Unterstützung von netzpolitik.org.
Beam me up, Rilke. In Das Licht von Duino hat Frank W. Haubold endlich losgelassen und ein fulminantes Ende für seine Götterdämmerung Space Oper hingelegt. Der Dichter Rilke greift zusammen mit Jim Morrison in das Geschehen ein. Die Regentin hat seltsamen Sex mit einem Symbionten. Dr. Mertens züchtet Klone, um sie zu foltern. Das parasitäre Malik Wesen spingt von Wirt zu Wirt und kommt seiner Zielperson immer näher. Und die letzte intergalaktische Schlacht um das Schicksal der Menschheit wird von einem Hunnensturm eröffnet. Frank W. Haubold verknüpft alle losen Enden, läßt einige Dinge im nebulösen und findet gegen Ende zu an Rilke gemahnende lyrische Formen. Ein würdiger Abschluss dieser Trilogie.
Mit der Kraft des heiligen Geistes. Wir schreiben das Jahr Anno Salvatio 423, denn seit 423 Jahren lebt und regiert nun Papst Innozenz XIV das Land mit eisernen Hand. Für die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen Erzengel, Inquisitoren und Straßenpriester. Unter letzteren Desmond Sorofraugh, der dank der Kraft des heiligen Geistes übersinnliche Fähigkeiten besitzt. Als er jedoch dem gefallenen Prophet begegnet, beginnt er an der bestehen Ordnung zu zweifeln und begibt sich in den Untergrund. Das Setting in Tom Dauts Roman ist atemberaubend und einfallsreich. Die Action kommt krachend daher. Da macht es auch nichts, das einige Charaktere nicht bis ins letzte psychologische Detail ausgefeilt sind. Übrigens: Falls sich die Gelegenheit bietet, eine Lesung von Tom Daut zu erleben – hingehen. Das macht echt Spaß.
Datastream:
Dave Eggers: Der Circle. 560 Seiten. KiWi-Taschenbuch (2015). Übersetzung: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann. ISBN: 978-3462048544
Tom Hillenbrand: Drohnenland. 432 Seiten. KiWi-Taschenbuch (2014). ISBN: 978-3462046625
Frank W. Haubold: Götterdämmerung – Das Licht von Duino. 450 Seiten. Atlantis Verlag (2015). ISBN: 978-3864022746
Tom Daut: Anno Salvatio 423 – Der gefallene Prophet. 614 Seiten. Oldigor Verlag (2014). ISBN: 978-3945016237
Die Musik zur Sendung:
Zimmer123 – Various Artists – Selections – Blue
5 Meinungen dazu
[Podcast] Schriftsonar #52 |, 9. Juni 2016, 12:57 Uhr
[…] FC Stoffel präsentiert nun die 52.Ausgabe des Schriftsonar Podcastes. […]
Peter Herfurth-Jesse, 8. Juli 2016, 21:13 Uhr
Hallo Stoffel,
gerade rechtzeitig vor dem Cornwall-Urlaub entdecke ich, dass schon seit einigen Wochen ein neuer Schriftsonar draußen ist. Da freue ich mich drauf – und da ich „The Circle“ von Dave Eggers (wie praktisch alles, was der Mann bisher auf Deutsch veröffentlicht hat) selber gerade erst gelesen habe, bin ich zusätzlich gespannt.
Ich wünsche noch einen schönen Sommer
Peter
Peter Herfurth-Jesse, 31. Juli 2016, 22:25 Uhr
Hallo Stoffel,
da kann man mal wieder sehen. Wo Du „The Circle“ wegen seiner inhaltlichen Stoßrichtung lobst, habe ich das Buch wegen seiner literarischen Schwächen – vor allem in der „Entwicklung“ der Figuren – verrissen. Auch eine Frage des Blickwinkels, wie es scheint.
Tom Daut habe ich mir einmal vorgemerkt. Sind aber eigentlich noch viel zu viele ungelesene Bücher in meinem Schrank.
Eine technische Frage. Wenn ich Schriftsonar runterlade & auf meinem mp3-Player abspiele, bekomme ich immer ein unangenehm störendes Dauerbrummen mitgeliefert. Hast Du eine Ahnung woran das liegen und vor allem wie ich das abstellen könnte?
Liebe Grüße
Peter
Lichtecho, 26. August 2016, 14:12 Uhr
Danke für die kompetente Besprechung von Der Circle. Ich habe mir darauf hin das Buch besorgt und mit Genuss gelesen.
Ich verstehe nicht, warum das Buch wegen vermeintlicher literarischer Schwächen kritisiert wird, zum Beispiel im Sciencefiction Jahr. Die Eindimensionalität der Figuren ist ja Teil des Problems. Hätte Mae Holland Charakter könnte sie ja gar nicht beim Circle arbeiten. Die Geschichte entwickelt ihren Sog aus der schieren Zwangsläufigkeit mit der sich der Circle schließt. Sich gegen den Circle zu stellen, ist in etwa so, wie gegen die Gravitation zu sein. Mich hat das sehr beeindruckt.
FC Stoffel, 14. September 2016, 12:51 Uhr
Danke für den Kommentar, den ich leider erst spät frei gestellt habe. Und ich stimme Dir zu. Die Naivität (um nicht zu sagen Eindimensionalität) von Mae Holland ist gerade der Witz an dem Buch. Und ich bin solchen Menschen tatsächlich auch schon im echten Leben begegnet. Die gibt es wirklich!