Mein späteres Selbst
Ich reise in die Zukunft und sehe mich selbst als alten Mann. Solch ein Zeitreiseparadox ist ein beliebtes Motiv der SF. Aus der Fantasy kennen wir den magischen Spiegel, durch den wir einen Blick in ferne Zeiten werfen können. Wie wäre es wohl, wenn wir wirklich einen solchen Spiegel hätten, mit dem wir uns über Jahrzehnte hinweg in die Augen blicken könnten, unserem späteren Selbst mit Falten, schütterem Haar und müden Augen? Würde ein solcher Blick auf unser Aussehen in der Zukunft unser gegenwärtiges Leben verändern?
Dieser Frage geht ein Team aus Psychologen und Virtual Reality Spezialisten an der University of Stanford in den USA nach. Mit Einsatz von Virtual Reality geben sie Testpersonen die Möglichkeit, sich selbst als altem Menschen gegenüber zu stehen. Der Avatar wird zum Zeitreisenden, der uns einen magischen Spiegel vorhällt.
Das Resultat unter den Testteilnehmern ist zu nahe liegend um nicht auch überraschend zu sein. Wer sich selbst als altem Menschen in die Augen geblickt hat, der würde deutlich mehr in seine Altersvorsorge investieren als eine Vergleichsgruppe. Und hier liegt auch der Sinn dieser Forschungen: Die Menschen zu einem besseren und verantwortungsvollerem Umgang mit ihrer eigene Zukunft zu erziehen.
Mich erfüllt dieses Experiment mit ambivalenten Gefühlen. Auf der einen Seite scheint es wünschenswert, wenn wir uns bisweilen direkt mit den Folgen unseres Tuns konfrontieren könnten. So wäre es sicher eine der wirkungsvollsten Anti-Raucher Kampagnen, wenn wir die Möglichkeiten hätte zu sagen: sieh mal, so siehst du mit Lungenkrebs im Endstadium aus. Dies würde womöglich mehr bewirken als jede abstrakte Aufklärungskampagne.
Auf der anderen Seite frage ich mich, ob der Blick in die eigene Zukunft, und sei es auch nur auf ihr äußeres Erscheinungsbild, die gelebte Gegenwart zu einem Vorspiel reduziert und aus dem freien Entwurfsspiel des Lebens ein lebenslanges Vorausdenken macht, frei von der Kreativität des unbekümmerten Selbstentwurfs. Wie verändert sich meine Lebenseinstellung, wenn ich anfange, die Gegenwart vor allem als Übergangsphase zum Alter zu begreifen? Will ich wirklich wissen, wie ich später aussehe? Oder kann der Gedanke daran mich auch im Gefühl einer Art Perspektivlosigkeit blockieren?
Es fällt mir nicht leicht, darauf eine einfache Antwort zu finden. Wie kann man es verbinden, zugleich selbst-verantwortlich zu handeln und trotzdem nicht zuviel an später zu denken?