Der ertrunkene Riese – JG Ballard

Der große britische Schriftsteller und Psychonaut JG Ballard ist tot. Er starb gestern, am 19. April 2009.

JG BallardNein, das hier wird kein Newsblog. Die schnellen Meldungen und Nachrufe überlasse ich normalerweise gerne anderen, die das besser können und mehr Eifer haben. Dass ich hier dennoch ein paar Zeilen zum Tode von James Graham Ballard schreibe, hat eher persönliche Gründe, denn ich muss zugeben, dass mich die Nachricht von seinem Tod berührt hat.

Ballard war ein Wendepunkt in meiner Lesekarriere. Hiermit geht es mir sicher wie vielen SF Lesern, die wie ich Ballard als Jugendlicher entdeckten.

Eine der ersten Geschichten, die ich von ihm las, war The Drowned Giant und ich war wie vom Donner gerührt. Niemals hatte ich etwas Ähnliches gelesen, die gefesselte Kraft seiner Worte und die geradezu hypnotische Ruhe seiner Bilder waren etwas völlig neues für mich. Plötzlich öffnete sich dem jungen Leser ein neuer Kosmos. Anspruchsvoll, düster und schön. Hier ging es um Menschen, die scheiterten, statt zu siegen, die umher irrten, anstatt einem klaren Kurs zu folgen.

Der Kern der Phantastik ist das Geheimnis, nicht seine Erklärung. Ballards Geheimnisse waren meist dunkel, doch sie waren nicht erschreckend. Sie waren anziehend. Mein Lieblingsroman von ihm, The Crystal World, beschreibt einen prachtvollen Untergang und auch The Drowned World ist erfüllt von der Faszination für eine Endzeit, die sich vor allem im Inneren der Personen vollzieht.

Endzeitszenarien und Katastrophen waren von jeher ein Bestandteil der Science Fiction, doch Ballard stellte die Mechanismen des Untergangs auf den Kopf. Seine Helden fliehen nicht vor der Katastrophe, sie werden von ihr angezogen. Anstatt sich an der brüchigen Struktur einer vergehenden Realität festzuhalten, begeben sie sich mitten in das Herz des Desasters, umarmen es und lassen sich von ihm verändern. Auf diese Weise zeigte Ballard auch, wie man in einer Zeit nach Hiroshima und Nagasaki, in einer Zeit nach Auschwitz und – aus heutiger Sicht – nach der Klimakatastrophe Science Fiction schreiben konnte. Ballard feiert den Pessimismus nicht, sein Weltenende ist eine Katharsis von großer menschlicher Schönheit.

RIP - BallardAll dies war für den jugendlichen Leser, der ich war, von unglaublicher Anziehungskraft. Ballard passte exakt in die Zeit meiner Jugend und war wichtiger Bestandteil einer kreativen Ästhetik, die geformt war von Psychedelic, New Wave, Godard-Filmen und Selbstfindung. Ich war hingerissen von seinen Geschichten, versuchte, seinen Stil zu kopieren und jede Nuance seines Schreibens zu verstehen.

JG Ballard wirkte auf mich auch dadurch, dass er mir die Türen zu einer Menge anderer Autoren öffnete, welche damals Science Fiction als Literatur für mich neu definierten: Christopher Priest (Der weiße Raum), Brian Aldiss (Barfuß im Kopf), John Brunner (Die Plätze der Stadt), Michael Moorcock, Thomas Disch, Alain Doremieux … und viele andere.

Ballard war der erste, der mir zeigte, was SF sein kann. Nun ist dieser Riese der zeitgenössischen Literatur gestorben. Seine Texte werden überdauern.

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3 Meinungen dazu

Stefan, 20. April 2009, 17:31 Uhr

„Nein, das hier wird kein Newsblog.“ Schade eigentlich. Es gibt viel zu wenig anständige SF-Blogs!

Raimund, 20. April 2009, 23:42 Uhr

Oh je, ich kann Michaels Worte nur unterstreichen. Bei mir waren es Vermilion Sands (dt. Die Tausend Träume von Stellavista) und später The Drowned World (dt. Karneval der Alligatoren bzw. Paradiese der Sonne), die mich zu diesem unglaublich brillianten Autor geführt haben, dessen Romane ich nicht nur verschlungen sondern für die Ewigkeit in mein Herz aufgenommen habe.

Es gibt wahrlich wenige Autoren, die in mir so viel nachhaltig angestoßen haben, wie Ballard. Seine Bilder sind von unglaublicher Kraft, seine Stimmungen von melancholischer Magie, seine Geschichten von zeitloser Ästhetik. Manche sagen, Ballards wendungsreiche Biographie und seine rastlose, zutiefst zerrissene Persönlichkeit war der Preis für seine außergewöhnliche Begabung zur Phantastik. Ich glaube, es ist genau anders herum: Die traurige Schönheit seiner Geschichten erklären Ballards herzenstiefe Liebe an das Leben, das ihm bereits in seine Kindheit die späteren Titel für Romane und Geschichten in sein Herz einbrannte: Crash, The Drowned World, The Four Dimensional Nightmare …

Seine elternlose Kindheit in diversen japanischen Kriegsgefangenenlagern prägte sein Werk durch eine poetische Mischung aus bunter, kindlicher Phantasie und Endzeitstimmung, unendlicher Sehnsucht, seelischer Einsamkeit, ewiger Suche nach Schönheit, bedingungslosem Hoffen auf Vergänglichkeit und Konzentration auf den/die Protagonisten wider Willen. Zeit war für ihn ein intensives Motiv, dessen drohender Stillstand gleichzusetzen war mit dem Ende der Dinge, dessen Gegenpol das Dröhnen von Motoren war – seien es die von britischen Kampfflugzeugen in dem autobiografischen Werk The Empire of the Sun, dem Lebenssinn stiftenden Autounfällen in Crash oder der an einer Mittelinsel Gestrandeten vorbeirasende Verkehr in Concrete Island.

Dennoch bezweifelter der Autor immer wieder die Fortschrittlichkeit der Technologie und die Ratio als dominates menschliches Prinzip. Erst später erfuhr ich, dass auch eine meiner musikalisch einflussreichsten Jugendlieben, die Band Joy Division, mit The Atrocity Exhibition eine Hommage an den Autor veröffentlichte (das 2001 auch von Jonathan Weiss verfilmt wurde). Mit Ballard verlässt einer der größten SF Autoren diese Welt und diese Zeit.

Aber er wird vermutlich noch viele Welten von vielen Menschen über lange Zeiten zu beeinflussen vermögen.

Daniel, 6. August 2009, 11:06 Uhr

Habe mir heute den ersten Teil der Ballard Kurzgeschichtensammlung gekauft. Ich freu mich schon aufs lesen. „Der ertrunkene Riese“ ist ein wunderbarer Titel, ich denke ich werde damit anfangen.

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