Cory Doctorow bei der lit.Cologne
Virtuality trifft Realraum. Morgens die Ankündigung in BoingBoing, abends keine dreihundert Meter von meinem Wohnort entfernt: Cory Doctorow zu Gast beim Kölner Literatur-Happening lit.Cologne.
Die Veranstaltung war als eine der wenigen nicht seit Wochen ausverkauft. Also mal eben ums Eck, Cory Doctorow treffen. Der Abend war angekündigt unter dem poppigen und bedeutungslosen Titel »Science Fiction 2.0«. Vorgestellt wurde Doctorows neuer Roman Upload.
Cory Doctorow ist Zielgruppen-Programm. Im Publikum eine weit überdurchschnittliche Zahl von iPhone-Besitzern, die sich in der Wartezeit wichtige Programmfunktionen vorführen. Die Veranstaltung selbst die übliche Mischung aus deutsch und englisch gelesenen Buchpassagen, angereichert mit Fragen des Moderators Bernhard Robben. Die Handlung des Romans blieb trotz der Ausschnitte weitgehend im Dunkeln. Die Frage, worum es in diesem Roman geht, erschien dem bemühten und überforderten Moderator wohl zu banal.
Zudem war der deutsche Vorleser ebenso professionell wie unsicher und versprach sich in jedem dritten Satz. Als hauptberuflicher Synchronsprecher wird Tommy Morgenstern an diesem Abend nicht mit sich zufrieden gewesen sein. Doctorow dagegen war symphatisch, selbstsicher und entspannt. Ich möchte glauben, so zufrieden wirkt ein frischgebackener Vater mit Schlafdefizit.
Alle, die auf eine gute Lesung gehofft hatten, wurden dennoch enttäuscht. Die interessanten Momente waren jene, in denen Doctorow nicht über sein Buch, sondern über sich und seine Themen sprach: Copyright, Internet, Technologie und Science Fiction. Das war wohl auch, was der Großteil des Publikums erwartete. Dass der Abend trotzdem nur selten seine Versprechen einlöste, lag an einem Moderator, der sich im Umfeld von Science Fiction und Hightech so sicher bewegte wie Ursula von der Leyen bei der Präsentation eines Schwergewichtskampfes.
Ich denke nicht, dass es möglich wäre, eine Literaturverstaltung mit Minette Walters und Elizabeth George von jemandem moderieren zu lassen, der in seinem Leben vielleicht drei Kriminalromane gelesen hat, davon den letzten vor zehn Jahren.
Die Distanz, die der Literaturbetrieb immer noch zu seinem einzigen visionären Genre hat, wird nirgends deutlicher als bei dem Versuch, Science Fiction und Phantastik im Rahmen einer Mainstream-Veranstaltung zu präsentieren.
Gleiches musste ich neulich bei einer Neil Gaiman-Lesung erleben, mit dem Unterschied, dass sich Gaiman souveräner über die Inkompetenz des Moderators hinwegsetzte als der immer höfliche Cory Doctorow.
Mein 14jähriger Sohn weiß mehr über Internet und Technik als ich, bekannte der Moderator. Was zum Teufel machst du dann hier, fragte sich das Publikum. Man musste Fragen erdulden wie: »Bei Science Fiction, da denke ich immer an Aliens und Raumschiffe, deine Bücher scheinen so gar nicht dazu zu passen. Wie kommt das?«
An den erstarrten Gesichtern mit den überfrorenen Augäpfeln hätte man in diesem Moment wohl recht genau die Zahl der Zuhörer abzählen können, die Zuhause Peter Watts, Richard Morgan, M. John Harrison oder China Miéville neben dem Bett liegen haben. Glücklicherweise konterte Doctorow diese question-from-hell mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu Raumschiffen, Aliens und Mechwar-Robots. Andere Fragen diesen Kalibers folgten, die Publikumsfragen dagegen wurden mit Verweiß auf die Uhrzeit abgewürgt, kaum dass sie begonnen hatten.
Warum nicht zum Beispiel Michael K. Iwoleit, den deutschen Übersetzer Doctorows, warum? Warum nicht einen gut vorbereiteten, eloquenten und genrekundigen Moderator? Warum nicht jemand, der sich auf Augenhöhe mit Doctorows Themen bewegen kann?
Es bleibt, wie es war:
Don’t believe the hype, it’s a ghetto.
1 Meinung dazu
Chris, 3. März 2008, 9:46 Uhr
Puh! Habs durch ein blödes Meeting verpasst. Scheint ja nicht sooo dolle gewesen zu sein. Schöner Bericht, hier! THX!